I Predict A Rio(t)


Rio de Janeiro, Brasilien // 18. – 23. Januar 2011

Um drei Tage verschobener Touchdown in Südamerika. Vera hatte sich eine derbe Grippe eingefangen. Eigentlich wollen wir den Abzocker-Flughafen-Taxen ein Schnippchen schlagen und haben uns einen Wagen schicken lassen. Ob sich das wirklich auszahlt, ist fraglich. Während der halbstündigen Fahrt nach Méier haben wir eine Handy-Standleitung zu unserem Couchsurfing-Host Paul, da sich unser Chauffeur Null auskennt, trotzdem keinen Blick auf das Navi wirft. Pauls Bude ist winzig, seine Gastfreundschaft dafür umso riesiger. Keiner von Euch/uns wäre bereit, eine Ein-Zimmer-Studenten-Butze mit Wildfremden zu teilen. Paul schon. Wir sind komplett durch den Wind, schlafen quasi mit einem Rucksack auf dem Rücken auf der Luftmatratze ein. Selbst Pauls atomlauter Star-Trek-Wecker um 6 Uhr wird von uns ignoriert.

Programm unseres ersten wirklichen Tages auf brasilianischem Boden: Ohne Portugiesisch- und Ortskenntnisse per Zug Richtung Innenstadt. Kurzer Stopp bei Zico, Pelé und sogar Kaiser Franzels Fußabdrücken beim im Umbau befindlichen Maracana. Dann geht’s für 60 Centimos (=0,30 Euro) mit einer abenteuerlichen Bimmelbahn ins hochgelegene Santa Teresa, danach erkunden wir bei schlappen 40 Grad und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit City und ultramoderne Kirchen. Abends feiern wir wie und mit Cariocas, den Bewohnern Rios, mit Brahma-Bier und Samba in den Straßen.

Wie 99,9 Prozent der Einheimischen, begehen wir am Donnerstag den Ehrentag von Rios Schutzpatron am Strand. Lemming-like sind String-Tanga-Träger(innen) nach Ipanema und Copacabana gepilgert, the whitest boy & girl alive lassen ihre Shirts aus Ehrfurcht vor der Sonne an und begnügen sich mit Spaziergängen. Abends verabschieden wir uns von Paul und siedeln nach Botafogo ins Beach Backpackers Hostel um. Und da die Welt in Rio genauso klein wie in Bochum ist, laufen wir direkt Vidar aus Schweden in die Arme, der neben uns im Flieger saß. Unser Sechs-Bett-Dorm lässt Pauls Behausung wie einen Palast erscheinen, aber damit werden wir in Zukunft leben müssen. Halb so schlimm wie sich’s anhört.

Überraschenderweise meistern wir die happige Dschungelprüfung des Rio-ÖPNVs (keine ersichtlichen Haltestellen, Fahrpläne, Logik) locker. Die folgenden drei Stunden Wartezeit zwischen Ticketkauf und Corcovado-Fahrt (Lattenjupp auf dem Hügel) testen wir das erste Mal unsere Auslandsversicherung. Veras Ohrenschmerzen seit dem Flug wollen mit Hausmitteln einfach nicht verschwinden, also geht’s aus Versehen ab in eine Nobelklinik, in der sich das gesamte Personal trotz der allgegenwärtigen Sprachbarriere mit Spanisch-Hand-Fuß+Google-Docs rührend kümmert und Doktor Dino eine Ohrentzündung diagnostiziert. Danach mit Cristos Arme ausstrecken und Rio von oben genießen. Berg runter, Busfahren, Berg rauf, diesmal Zuckerhut (der wörtlich übersetzt eigentlich Zuckerbrot heißt)! Caipi-Shots for free beschließen den Abend im Hostel.

Nachdem wir das Touripflichtprogramm hinter uns haben, werden wir an unserem letzten Tag abenteuerlustig. Zusammen mit Vidar wagen wir uns zu Ösi Andreas, der vor einem Jahr bekloppt genug war, sich in der Favela Vidigal Land zu kaufen und dort ein Hostel zu eröffnen. Die erste Mutprobe: Sich von draufgängerischen Burschen auf Motorrädern zum Top of the hill ___ (enter halsbrecherisches Verb hier) zu lassen, wo Andreas Tür an Tür mit dem regierenden Drogenboss wohnt. Die nächsten Stunden werden zu unserem persönlichen Rio-Highlight. Andreas hat von seiner Veranda aus eine Aussicht, die einem die Sprache verschlägt. Außerdem gibt uns der sympathische Ösi einen Einblick ins Favela-Leben. Die Jungs mit den Maschinengewehren vor seiner Tür sind nett, grinsend schnorren sie Zigaretten. Wir geben gerne, sie sitzen am längeren Abzugshebel. Ansonsten ist Vidigal ein friedliches Pflaster. Da der Drugboss der Polizei keinen Anlass geben will, in die Favela einzumarschieren, sind Übergriffe auf Touristen (zumindest in Vidigal) ein No-Go. Völlig geflasht verzichten wir auf dem Rückweg auf den Motorrad-Adrenalinkick, per pedes geht’s bergabwärts durch die verwinkelten Gassen, vorbei an der örtlichen Filmschule (Vidigal=Schauspielhochburg=City Of God-Darsteller) machen wir Stopp an einem Straßenstand und erfrischen uns mit dem lokalen Drink: Açai rules! Ebenso wie Vidigal…

Share